Marienkirche Wardenburg

Grußwort zum Dankgottesdienst

in der Marienkirche Wardenburg am 26.03.2017

Es ist geschafft! Die Innenrenovierung der St.-Marien-Kirche ist abgeschlossen - ohne unvorhergesehene Zwischenfälle, innerhalb des geplanten Zeitraumes und - das ist noch wichtiger - innerhalb des genehmigten Kostenrahmens. Das ist heutzutage nicht mehr selbstverständlich.

Wir feiern heute den Abschluss der Innenrenovierung der Kirche - und haben doch Anlass dazu, noch viel mehr zu feiern. Wir sind am - vorläufigen - Ende eines Iangen Weges angekommen, in dessen Verlauf beharrlich in vielen kleinen Schritten daran gearbeitet wurde, den historischen Kern der bisweilen zur Gesichtslosigkeit neigenden aufstrebenden Stadtrandgemeinde Wardenburg als etwas ganz Besonderes zu erhalten, als identitätsstiftende Ortsmitte zu sichern und für die Zukunft weiterzuentwickeln. Das Ergebnis der Arbeiten kann sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen:

Kommen wir - beispielsweise als neugierige Fahrradtouristen - vom Hunteradweg in die Ortsmitte und machen Rast im Café am Glockenturm, so blicken wir von dort auf ein zu jeder Jahreszeit ausgesprochen malerisches Ensemble: ein sorgfältig restaurierter Torturm mit goldglänzender Bekrönung eröffnet den Weg zur dahinter aufragenden Kirche, deren neuer Anstrich den warmen Farbton des Ziegelmauerwerks von Tor- und Kirchturm aufnimmt. Behäbige alte Bauernhäuser und Neubauten, die sich in Material und Proportion gut in die Nachbarschaft einfügen, bilden zusammen mit knorrigen großkronigen Eichbäumen die malerische Umrahmung für den gepflegten Kirchhof in ihrer Mitte. Wir entscheiden uns, dem in ansprechender Einfachheit gepflasterten Rundweg nördlich der sorgfältig restaurieiten Kirchhofsmauer zu folgen bis zum westlichen Kirchhofstor, um von dort auf dem geklinkerten Hauptweg zum Nordportal der Kirche zu gelangen. Neugierig öffnen wir die Tür.

Was erwartet uns?
Bis zum Mai letzten Jahres hätten wir in einen relativ dunklen Kirchsaal geblickt, dem man deutlich ansah, dass die letzte Renovierung schon sehr lange - genauer gesagt über 40 Jahre - zurücklag. Alles war irgendwie bunt - aber die Farben wirkten müde und zufällig. Es gab einige Ausstattungsstücke, die irgendwie historisch anmuteten, aber in einer eigentümlich zeitlosen Unbestimmtheit nicht wirklich zusammenpassten. Von einer Dorfkirche hätte man Anderes erwartet. Ratlos und enttäuscht wären wir gegangen.

Jetzt ist es anders. Öffnen wir heute die Kirchentür, so empfängt uns ein weiter, heller Raum. Künstlerisch und handwerklich gut gestaltete Austattungsstücke aus mehreren Jahrhunderten erstrahlen in wiederhergestellter angestammter Schönheit und ergeben zusammen ein harmonisches Ganzes, das - obwohl in dieser Zusammenstellung noch nie da gewesen - eigentümlich vertraut und selbstverständlich wirkt - eben genau so, wie man es von der jahrhundertealten Kirche eines oldenburgischen Geestdorfes erwartet.

Wir haben eine neue Sehenswürdigkeit entdeckt - und setzen zufrieden unsere Tour auf dem Hunteradweg fort.

Konzentrieren wir uns nun - nach dem ersten Gesamteindruck - noch einmal etwas genauer auf das, was im letzten Dreivierteljahr in dieser Kirche geschah und warum alles so wurde, wie es jetzt ist:

Der Visitationsbericht von 1991 hatte - in geradezu prophetischer Weise - schon all' das für notwendig erachtet und zur Ausführung empfohlen, an dem wir uns heute erfreuen können:

Die Renovierung des Glockenturms, die äußere Neugestaltung der Kirche, die Sanierung der Heizung und die Erneuerung des Innenanstrichs.
Glockenturm, Kirchhofsmauer, Rundweg, Außenrenovierung der Kirche und Erneuerung der Heizzentrale hatten Vorrang, bevor im Januar 2013 zusammen mit dem Büro Angelis & Partner, Oldenburg, die ersten konkreten Planungsüberlegungen für die langersehnte innere Erneuerung der Marien-Kirche begannen.

Schnell wurde klar, dass wegen des großen konstruktiven Aufwandes und der viel zu hohen Kosten an tiefgreifende bauliche Veränderungen  - wie sie zuletzt 1959/60 erfolgt waren - nicht zu denken war. Neben kleinen, aber entscheidenden Veränderungen an der Ausstattung war vor allem ein neues Farbkonzept gefragt. Wir gingen auf die Suche. Wir studierten historische Quellen, durchstöbeiten den Dachboden der Kirche und fanden dort überraschend viele schöne ausgemusterte Stücke der alten Einrichtung. Restauratoren untersuchten diese ebenso gründlich wie das, was an Historischem im Kirchraum verblieben war.

Vier sehr unterschiedliche Innenausmalungen hatten die Wardenburger in ihrer Kirche innerhalb der letzten gut 200 Jahre verwirklicht:

  • Zum Ende des 18. und Anfang desd 19. Jahrhunderts herrschten helle, kühle und warme Grautöne, Weiß und goldene Absetzungen.

  • Zum Ende des 19. Jahrhunderts folgte eine durchgängige Holzmaserierung in verschiedenen Brauntönen.

  • Besonders farbintensiv war die Gestaltung von 1934, in der alle Ausstattungsstücke in kräftigem Grün vor intensiv-ockerfalbigen Wänden standen.

  • Bei der Renovierung 1959/60 entschied man sich für die bis zum letzten Jahr vorhandene Mehrfarbigkeit.

Was wollten wir? An Vergangenes anknüpfen? Etwas ganz Neues erfinden?

Die Entscheidung der Kirchengemeinde für die Wiederherstellung des wieder entdeckten historischen Altarretabels in seiner ursprünglichen Form und dessen Rückführung in den Altarraum gab letztendlich den Anstoß dafür, auch an den übrigen Ausstattungsstücken die dazu passende Raumfarbigkeit des 19. Jahrhundeits in Grau, Weiß und Gold mit kraftvoll kontrastierenden schwarzen Akzenten wieder herzustellen.

Erstaunlich gut fügt sich in das neue Farbkonzept die unverändert übernommene Farbigkeit der Balkendecke ein mit dem beherrschenden Farbton Englisch-Rot (Hermann Oetken 1976). Das Farbspiel der Glasfenster (1933 von Olaf Düsterbeen/ 1959/60 von Heinz Grapinski) ist in der beruhigten Umgebungsfarbigkeit beeindruckender als zuvor. Sehr viel besser kommen auch die historischen Erinnerungstafeln an alte Wardenburger Familien aus dem 17./18.Jahrhundert und das Denkmal für die Gefallenen von 1870/71 an der langgestreckten Südwand zur Geltung. Hier hat nun auch das große bronzene Auferstehungskreuz von Kurt Lehmann - zuvor hinter dem Altar angebracht - in der Mitte des Kirchraums einen würdigen neuen Platz gefunden.

Die Kanzel, die nach Wegnahme des überdimensionierten hölzernen Fußes jetzt in ursprünglich beabsichtigter Weise eher schwebt als steht, erhielt einen formal angepassten Schalldeckel und hat nunmehr ein stärkeres optisches Gewicht gegenüber der seit l959/60 asymmetrisch gestalteten Winkelempore.

Die aufgefundenen Reste kunstvoll geschnitzter Gestühlsbrüstungen wurden zu neuen Brüstungselementen zusammengefügt. Sie schaffen blickgeschützte Abstellmöglichkeiten auf der übergroßen Westempore und flankieren die bisher etwas verloren stehende Johann-Dietrich-Busch-Orgel von 1740 vorteilhaft.

Im ausgewogenen Gegenüber des vervollständigten, barocken Orgelensembles im Westen und des wiederhergestellten klassizistischen Altarretabels im Osten hat der sehr langgestreckte Kirchsaal ein neues inneres Gleichgewicht gefunden.

Kommen wir damit zur wichtigsten Neuerung der jüngsten Renivierung - dem neuen-alten Altarretabel. Dazu gibt es Fragen. Den Kanzelaltar, der bis 1959 Bestand hatte, kennen die Älteren unter uns noch aus eigenem Erleben. Sein Aussehen ist außerdem auf historischen Fotos gut dokumentiert. Aber sah der Altar jemals so aus wie jetzt? Und woher stammen die Sprüche, mit denen er beschriflet ist? Welchen Sinn haben sie?

Das Studium von historischen Inventarbeschreibungen der Marienkirche und der Abgleich mit Erkenntnissen aus der vergleichenden Bauforschung helfen bei der Beantwortung der Fragen.
Folgendes ist festzustellen:

Genau in der Form, in der er heute wieder vor uns steht, wurde der Altar im Jahre 1793 geschaffen. In einer Zeit des Auf- und Umbruchs ersetzte er seinen Vorgänger, der - wenn wir die Überlieferungen richtig deuten - noch aus der prächtigen alten, im Jahre 1538 zerstörten Wallfahrtskirche stammte.

Den vorreformatorischen Flügelaltar mit einer wundertätigen Statue in seiner Mitte hatte man in die 1578 stark vereinfacht wieder aufgebaute lutherische Pfarrkirche übernommen und ganz pragmatisch für den lutherischen Gottesdienst tauglich gemacht: Ein zugefügtes Gemälde vor der Predella zeigte die Einsetzung des Abendmahls, ein weiteres an der Spitze des Altars den auferstehenden Christus.

In dieser, für die Grafschaft Oldenburg nicht unüblichen Mischung aus vor- und nachreformatorischen Teilen, gab es den Altar gute zweihundert Jahre lang.

Dann heißt es in einer Bestandsaufnahme anlässlich der Neukonstituierung des Herzogtums Oldenburg 1774 zum Altar ganz lapidar: "Alles ist sehr alt und wird von Würmern und der Zeit verzehret." Neues war angesagt.

Erfüllt von Nationalismus und Aufklärung, die mit dem jungen neuen Landesvater Peter Friedrich Ludwig Einzug ins Oldenburgische gehalten hatten, ersetzte man die altmodischen, zum Teil ja noch "papistischen" Bildwerke durch reduzierte klassizistische Klarheit.

Zwei säulenartige Pfeiler, Zeichen der Würde in symbolischer Anspielung auf die beiden Säulen namens Jachin und Boas, die König Salomo vor dem ersten Tempel in Jerusalem errichten ließ, rahmen Schrifttafeln mit Christusworten aus dem Neuen Testament. Mit der Aufforderung: "Solches tut zu meinem Gedächtnis" lädt Christus seine Jünger ebenso wie die Wardenburger Gemeinde zur Abendmahlsgemeinschaft in Brot und Wein. In Form einer Inschrift gestaltet, definieren die Einsetzungsworte aus dem Korintherbrief unmissverständlich in gut lutherischer Weise den AItar als den zentralen Ort für das Sakrament des Abendmahls. Die Worte aus der Gethsemane-Geschichte des Matthäusevangeliums in der Predella rufen die Gemeinde zu Wachsamkeit und Gebet.

Im Jahre 1817 wurde die Neugestaltung des Altares vollendet. Zur Feier des 300. Jahrestages der Reformation goss man aus dem Material der drei eingeschmolzenen alten barocken Atarleuchter mit zusätzlich aus der Gemeinde gespendetem englischen Zinn zwei stattliche neue Leuchter in strengen klassizistischen Formen. Rechtzeitig zum 500-Jahr-Jubiläum der Rormation stehen sie jetzt wieder - wie von den damaligen Spendern gewollt - vor dem klassizistischen Retabel.

Stetiges Gemeindewachstum und der infolgedessen zunehmende Bedarf an Sitzplätzen führten Mitte des 19. Jahrhunderts zu neuen Veränderungen in der Kirche. Wieder einmal handelten die Wardenburger pragmatisch. Um eine größere durchgehende u-förmige Empore bauen zu können, musste die barocke Kanzel im Jahre 1841 von der Südwand der Kirche verschwinden. Als Ersatz dafür baute man wenig einfühlsam das vorhandene Retabel zum Kanzelaltar um. Anstelle der Tafel mit den Einsetzungsworten sägte man eine Durchgangsöfinung in die Konstruktion und montierte davor einen Kanzelkorb zwischen die beiden säulenartigen Pfeiler.

Kanzelaltäre waren in der ersten Hälfle des 19. JH. Sehr beliebt, weit verbreitet und geradezu typisch für evangelische Kirchen. Gut 100 Jahre hatte diese Lösung Bestand in Wardenburg. Was dann folgte, haben die Äteren unter uns noch miterlebt.

Mit der Verlängerung der Kirche nach Osten um einen eigenen Altarraum in den Jahren 1959/60 fiel der Kanzelaltar. Die Emporen wurden abgebrochen. Die neue Empore erhielt in Anlehnung an den barocken Zustand eine Winkelform. Beim Bau der neuen, nun wieder separaten Kanzel im Südosten des Kirchraumes wurden Kanzelkorb und Teile der Säulen aus dem Kanzelaltar wiederverwendet.

Den neuen freistehenden Altar im vergrößerten Altarraum schmückte auf dem erhalten Sockel mit der Inschrift "Wachet und betet" ein hoch aufragendes Holzkreuz in asketischer Schlichtheit solange, bis 1984 auch diese Teile zugunsten des neuen Auferstehungskreuzes aus Bronze weggenommen wurden. Die Fürsprache der Denkmalpflege sorgte dafür, dass die ausgebauten künstlerisch gestalteten Ausstattungsstücke nicht in gleicher Weise verfeuert wurden, wie das Gros der einfachen Holzteile. Auf dem Dachboden der Kirche eingelagert, warteten sie auf bessere Zeiten ....

Nun sind sie wieder zu Ehren gekommen, ergänzen bereichernd die Kirchenausstattung und erinnern an Wardenburgs Geschichte. Es wuchs wieder zusammen, was zusammen gehörte. In besonderer Weise gilt das für den Altar. Für seine Wiederherstellung in ursprünglicher Form einschließlich der ursprünglichen Beschrifiung lieferte die genaue Beschreibung von 1794 die praktische Bauanleitung. Als klassizistischer Schrifialtar ist er im Gebiet der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg jetzt ein einzigartiges Kunstwerk. Seine biblische Botschaft ist und bleibt zeitlos gültig.

Lassen Sie mich abschließend noch drei Worte des Dankes sagen:

  • Ein Dank geht an alle, die durch Planung, Beratung oder praktisches Tun daran mitgewirkt haben, dass alles so wurde wie es nun ist. Die Zeit reicht nicht aus, alle Namen zu nennen Stellvertretend sei das Achitekturbüro Angelis & Partner genannt, das für die Gesamtorganisation verantwortlich war.

  • Ein Dank richtet sich an alles, die durch finanzielle Unterstützung dazu beitrugen, dass aus Plänen Wirklichkeit werden konnte. Zuwendungen kamen von der EU, vermittelt über das Land Niedersachsen, vertreten durch das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege und das Amt für regionale Landentwicklung. In etwa gleicher Höhe förderte die Kirchbaustiftung der Ev.-Lutherischen Kirche in Oldenburg das Vorhaben. Weitere Fördermittel wurden gewährt als kirchlicher Baukostenzuschuss, aus dem Ökofonds der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg sowie von zahlreichen Einzelspendern.

    Allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

  • Ein Dank geht schließlich an die Kirchengemeinde Wardenburg.

    Über den langen Zeitraum von den ersten Anfängen der Planung bis zur heutigen Vollendung hat sich eine große Zahl von Gemeindegliedern in wechselnder Zuständigkeit für ihre Marienkirche und deren "Umzu" engagiert eingesetzt. Für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit in all den Jahren ein herzliches Dankeschön.
Mögen die Gemeindeglieder und ihre Gäste viel Freude an ihrer neuen-alten Kirche haben - und oft und gerne in ihr zusammenkommen.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!

Gez. Achim Knöfel, Ev.-Luth. Oberkirchenrat Oldenburg, Kirchbau, Kunst- und Denkmalpflege

zurück